Eine Frau mit Autismus
Ich war auf dem Weg zu meiner
Fußpflegerin. Vor ein
paar Tagen hatte es ganz plötzlich
begonnen. Ich war wie jeden
Morgen auf dem Crosstrainer
gewesen. Täglich eine
Viertelstunde musste einfach
reichen, sagte ich mir immer.
Nebenbei wurde ein Film gezeigt.
Ich lief also in verschiedenen
Canyons oder durch Venedig
oder auch in Südfrankreich.
Ich hatte also immer auch
Unterhaltung. Das gefiel mir.
Plötzlich tat mir mein
Fuß weh. Es kam von
einer Sekunde auf die andere.
Es war der linke Fuß.
Etwas stimmte da nicht. Ich
konnte jetzt auch nicht mehr
richtig auftreten. Es tat
höllisch weh! Was sollte
ich jetzt tun?
Es war doch eigentlich gar
nichts passiert! Ich war weder
umgeknickt, noch hatte ich
mich angestoßen. Aber
es war irgendetwas nicht okay.
Irgendetwas stimmte da nicht.
Aber was? Ich war in Sorge.
Ich kletterte vorsichtig
von den Pedalen herunter und
alles war wieder gut. Der
Schmerz war weg. Vorsichtig
belastete ich den Fuß.
Dann spürte ich doch
wieder ein leichtes Druckgefühl
an der linken Fußsohle.
In der Mitte, nahe an den
Gelenken zu den Zehen, aber
dann doch auch noch etwas
davor. Und aus dem Druck wurde
dann plötzlich sogar
ein richtiger Schmerz. Er
nahm kontinuierlich zu und
dann schmerzte wirklich der
ganze Fußbei jedem Schritt.
Der Schmerz steigerte sich,
bis er dann ganz unerträglich
wurde. Ich ging aber trotzdem
weiter. Vorsichtiger allerdings,
den Fuß ganz bedächtig
aufsetzend.
An den nächsten Tagen
spürte ich den Schmerz
auch. Das war vor allem morgens.
Einmal war der Schmerz auch
am Nachmittag da. Plötzlich,
ohne Voranmeldung. Ich litt
sehr! Irgendetwas musste jetzt
geschehen!
Aber woher kam dieser Schmerz
eigentlich? Ich setzte mich
dann einmal hin und zog den
Fuß ganz zu mir heran.
Dann drehte ich die Fußsohle
nach oben. Ich bemerkte nichts
Besonderes. Es war nicht einmal
eine Rötung zu sehen.
Nichts! Vorsichtig tastete
ich das schmerzhafte Gebiet
mit meinem Zeigefinger ab.
Ich spürte den Knochen.
Er war fest und hart. Den
Schmerz konnte ich aber auf
diese Weise nicht auslösen.
Also, was bedeutete das alles!
Es war mir ein Rätsel.
Seltsam, dachte ich und stellte
den Fuß wieder auf den
Boden. Dann stand ich auf
und versuchte ihn nochmals
stärker zu belasten.
Sofort kam aber der Schmerz
wieder zurück. Und er
nahm wieder zu, je länger
ich den Fuß belastete.
Das war wirklich unangenehm.
Aber was sollte ich jetzt
tun. Wer konnte mir helfen?
Ich war ziemlich ratlos.
Sollte ich jetzt vielleicht
doch ein Schmerzmittel einnehmen?
Ich öffnete die kleine
seitliche Schublade an meinem
Schreibtisch und schaute hinein.
Ja, ganz auf der Seite lagen
noch zwei Schmerz-Tabletten.
Ich nahm sie heraus und betrachtete
sie. Eigentlich könnte
ich jetzt eine davon nehmen.
Ich drückte sie aus der
Verpackung und nahm sie in
den Mund. Die Tablette schmeckte
etwas bitter. Schnell schluckte
ich sie hinunter. Jetzt würde
der Schmerz schnell nachlassen.
So war es dann auch. Es ging
ganz schnell. Plötzlich
war ich wieder komplett beschwerdefrei.
Ich genoss es. Ich konnte
ja wieder normal gehen. Hoffentlich
kam der Schmerz nicht mehr
wieder zurück. Das wünschte
ich mir so sehr. Diese Tabletten
waren einfach toll.
Der Schmerz blieb dann doch
tatsächlich weg. Die
nächsten Tage. Die Wirkung
der Tablette müsste eigentlich
schon wieder vorbei sein,
aber der Schmerz kam trotzdem
nicht mehr zurück. Einen
Tag nicht und auch den nächsten
nicht. Ich hatte den Schmerz
inzwischen schon wieder ganz
vergessen. Unbekümmert
war ich wieder umhergegangen.
Die Tablette hatte großartig
gewirkt. Ich war glücklich.
Dann war er aber plötzlich
doch wieder da. Warum kam
er denn wieder? Ich war so
enttäuscht. Ja, ich war
wieder auf meinem Crosstrainer
gewesen. So wie immer, nichts
Besonderes eben. Es tat dann
wirklich wieder unangenehm
weh. Schon aus Protest nahm
ich jetzt keine Tablette mehr,
nein heute nicht. Das musste
auch so gehen. Ich wollte
nicht. Ich konnte doch nicht
dauernd Tabletten einnehmen.
Wozu?
Und so ging es immer wieder
hin und her. Ich hatte Schmerzen,
dann wieder nicht. Sollte
ich vielleicht den Fuß
nochmals abtasten? Ich schaute
hinunter. Es sah aus wie immer.
Keine Rötung. Keine Schwellung.
Es war nichts zu sehen.
Und wieder vergingen einige
Tage.
Doch, heute war es dann plötzlich
anders. Ich fand, dass der
linke Fuß jetzt doch
etwas dicker als der rechte
war. Ich spielte mit den Zehen.
Bewegte sie hin und her. Doch
der Fußrücken,
am Übergang zu den Zehen,
war heute dicker als sonst.
Ich drückte vorsichtig
mit dem Finger dagegen. Alles
war ganz elastisch. Es gab
keine Dellen. Aber, der linke
Fuß war eindeutig dicker
als der rechte. Und der rechte
tat ja auch nicht weh. Also
hatte die Schwellung etwas
mit den Schmerzen zu tun.
Ja, so musste es sein. Da
war ich mir sicher. Jetzt
hatte ich einen Befund. Jetzt
war alles klar. Bestimmt gab
es eine Untersuchung dafür.
Röntgen, CT oder MRT?
Schimmerte da an der Schwellung
die Haut nicht auch etwas
bläulich? Ich bewegte
den Kopf hin und her. Doch,
die Haut sah anders aus. Es
war nur links, nicht aber
rechts. Die Verfärbung
lag auf der Schwellung und
dort war ja auch der Schmerz.
Die Haut schimmerte wirklich
etwas bläulich. Also
musste etwas passiert sein.
Bloß was? Ich wusste
es nicht. Ich brauchte jetzt
jemanden, der sich damit auskannte.
Aber wen konnte ich fragen?
Also, es war dort doch etwas.
Es gab einen Grund für
diese Schmerzen. Die bläuliche
Verfärbung und die Schwellung
waren die Ursache. So musste
es sein.
Aber was jetzt?
Es war ein Bluterguss! Aber
wovon? Ich hatte mich doch
gar nicht gestoßen!
Aber es war wirklich ein
leichter Bluterguss!
Aber was jetzt? Wer konnte
mir weiterhelfen?
Ich hatte plötzlich
die Idee, zu meiner Fußpflegerin
zu gehen. Ja, zu ihr! Nicht
zum Orthopäden und auch
nicht zum Röntgen. Nein,
zu meiner Fußpflegerin.
Zu ihr hatte ich vollstes
Vertrauen, sie würde
sich den Fuß ansehen
und dann entscheiden, was
getan werden musste. Ihr würde
ich alles überlassen.
Der Fuß musste jetzt
zu ihr. Sie war genial. Sie
hatte ein Leben lang nur Füße
gesehen. Sie konnte mir bestimmt
in dieser Situation helfen.
Ja, zu ihr musste ich jetzt.
Das war mir jetzt klar.
Ich war erleichtert. Ich
hatte nun eine Entscheidung
getroffen. Jetzt würde
alles wieder gut werden. Ich
freute mich, sie wieder zu
sehen. Ich musste zu ihr und
zwar möglichst bald.
Ich würde sofort einen
Termin bei ihr ausmachen.
Ich fuhr mit dem Bus zu ihr,
denn es gab dort an der Praxis
keine Parkplätze. Der
42er hielt ja ganz in ihrer
Nähe. Es waren dann nur
noch ein paar Schritte bis
zur Praxis. Das war jetzt
eine gute Idee. Sie hatte
mir ganz kurzfristig einen
Termin gegeben und mir versichert,
sie würde den Fuß
ganz genau ansehen. Ich sollte
jetzt keine vorschnelle Entscheidung
treffen. Ich war so dankbar.
Der Bus brauchte länger
als sonst. Es gab nämlich
jetzt eine neue Busspur vor
der Ampel an der Durchgangsstraße.
Dadurch dauerte alles nun
viel länger, bis die
Fahrzeuge über die Kreuzung
kamen, denn es stand jetzt
ja nur noch eine normale Fahrbahn
zur Verfügung. Auch der
Bus brauchte dadurch länger,
bis er überhaupt seine
Busspur erreichen konnte.
Aber das hatten die Planer
nicht voraussehen können.
Sie wollten ja etwas Gutes
bewirken. Dass jetzt das Gegenteil
eingetreten war, konnte niemand
voraussehen. Nein, wirklich
nicht. Jetzt schimpften alle
natürlich über die
Planer. Sie mussten einem
aber eher leidtun. Das konnte
nun wirklich niemand voraussehen.
So war es eben! Alles gut
gemeint.
Dann war ich dort. Ich stand
vor ihrer Tür und klingelte.
Gleich würde sie öffnen.
Sie war schon etwas älter,
aber sie war sehr herzlich.
Ihr konnte man immer sein
Herz ausschütten. Sie
hörte sich immer alles
an. Dann sagte sie zwei bis
drei Sätze und die brachten
es dann auf den Punkt. Man
war erleichtert. Sie gab immer
eine ehrliche Antwort. Ich
freute mich auf sie. Manchmal
war sie aber auch ziemlich
anstrengend. Dann erzählte
sie ohne Punkt und Komma von
ihren Reisen. Ja, so war sie
eben. Alles gut.
Es öffnete sich die
Türe und eine sehr junge
Frau lächelte mich an.
Ich hatte sie bisher noch
nie gesehen. Sie war sicherlich
neu hier. Ich war überrascht.
Sicherlich würde jetzt
gleich meine Fußpflegerin
auch in der Türe erscheinen.
Sie war blond. Es war ein
blond, das irgendwie anders
war als ich es bisher gekannt
hatte. Heller? Nein, etwas,
das in ein leichtes grau überging.
Das Haar war glatt und lang.
Sie war noch jung und sie
hatte solche Haare? Ich war
überrascht. Sie lächelte
mich an. Ihr Lächeln
war bezaubernd. Man konnte
gar nicht genug davon bekommen.
Dieses Lächeln konnte
alles heilen, davon war ich
plötzlich überzeugt.
Ich dachte an meinen Fuß.
Hier war ich sicherlich total
richtig!
Auch ich lächelte jetzt
und ging durch die geöffnete
Türe. Sie stand jetzt
direkt vor mir. Sie war nicht
zu groß, unter 170 cm
und schlank. Sie hatte ein
schwarzes Hemd mit schmalen
Trägern an. Die Arme
waren komplett frei. Der linke
Arm war vollständig tätowiert
mit Blumen, die wie Rosen
aussahen und das Tattoo ging
vor bis zu den Fingern. Die
Farben Rot und Grün dominierten.
Aber das war nicht alles.
Das tief ausgeschnittene Hemd
gab den oberen Teil ihres
Dekolletés frei und
zeigte einen Totenkopf und
andere Muster, die ich aber
nicht eindeutig zuordnen konnte.
So etwas hatte ich noch nie
gesehen. Ich war etwas erschrocken.
Diese schöne Frau war
tätowiert. Warum tat
sie das denn?
Sie lächelte mich noch
immer an. Die beiden oberen
mittleren Schneidezähne
standen etwas weiter auseinander
als die benachbarten. Aber
es störte nicht. Wirklich
nicht. Die Nase war eher klein.
Sie hatte dunkle Wimpern,
das konnte ich auch noch erkennen.
Am Oberkiefer war ein dunkler
Fleck sichtbar. Später
konnte ich erkennen, dass
es auch ein Tattoo war.
Entschuldigen Sie,
aber Frau Reindl ist plötzlich
krankgeworden. Sie hat mich
nun gebeten, Sie heute zu
behandeln. Ich heiße
Julia.
Gerne komme ich heute
auch zu Ihnen, sagte
ich und wir gingen zusammen
in den Behandlungsraum. Plötzlich
hatte ich Frau Reindl total
vergessen. Ihr wollte ich
ja meinen Fuß eigentlich
anvertrauen.
Ich kannte mich ja bereits
aus. Es gab hier einen großen
Behandlungsstuhl, auf dem
ich mich niederließ.
Ich öffnete dann meine
Schnürsenkel, zog die
Schuhe aus und stellte sie
dann auf der rechten Seite
ab. Dann streifte ich noch
die Socken vom Fuß ab
und legt sie zu den Schuhen.
Danach setzte ich mich in
den Behandlungsstuhl und streckte
meine Beine aus.
Sie hatte sich inzwischen
eine Schürze umgebunden
und Handschuhe angezogen.
Dann schob sie einen Hocker
an die Schmalseite der Liege,
auf den sie sich langsam hinsetzte.
Aus einer Schublade nahm sie
noch einen Mundschutz und
band ihn hinter ihrem Kopf
fest.
Geschickt nahm sie einen
meiner Füße. Mit
der linken Hand hielt sie
den Fuß am Fußrücken
fest. Dabei lag der Daumen
auf der Fußsohle und
die anderen Finger über
dem Fußrücken.
Mein empfindlicher Fuß.
Oh je! Ich wartete besorgt
auf den Schmerz, aber zum
Glück tat nichts weh.
Ich konnte mich also wirklich
ganz entspannen und lehnte
mich zurück. Sie schaute
sich alles ganz genau an.
Mit der rechten Hand spreizte
sie die Zehen und schaute
so in die Zwischenräume.
Dann legte sie den Fuß
ab und holte ihr Werkzeug.
Sie sprach nicht. Auch ich
sagte nichts. Ich beobachtete
sie aber ganz genau. Diese
Frau fand ich doch ziemlich
interessant.
Zuerst schnitt sie mir die
Fußnägel, dann
begann sie die Hornhaut mit
dem Schleifapparat abzutragen.
Ein hochfrequentes Geräusch
war nun zu hören. Sie
war sehr geschickt im Umgang
mit meinen Füßen.
Ist alles gut?
fragte sie mich dann doch
einmal und riss mich aus meinen
Gedanken.
Ja, sagte ich
und lächelte sie an.
Sie redete nicht. Ich beobachtete
sie die ganze Zeit. Sie redete
nicht und fragte mich auch
nichts. Ganz anders war da
ja ihre Chefin. Die redete
ja meist ununterbrochen. Das
war mir oft auch schon zu
viel gewesen. Immer ging es
um Urlaub und Verreisen. Sie
war ja ständig unterwegs.
Das war mir immer wieder aufgefallen.
Irgendwann war sie fertig,
dann sprühte sich etwas
Schaum auf die linke Hand
und begann meine Füße
damit zu massieren. Ich bin
ja so kitzelig an den Füßen.
Immer wollte ich meinen Fuß
wegziehen, aber sie hielt
ihn ganz fest. Sie massierte
unverdrossen weiter. Eine
wohlige Wärme lag jetzt
über meinen Füßen.
Ich fühlte mich sehr
gut und war jetzt auch ganz
entspannt. Ich war sehr zufrieden
mit dieser Behandlung.
Wir sind so weit!
sagte sie und legte ihr Handwerkszeug
weg. Sie stand auf, holte
meine Schuhe und reichte sie
mir. Das waren die wenigen
Worte, die sie sprach während
der gesamten Behandlung.
Ich setzte mich nun wieder
auf den Rand der Liege, streifte
die Socken über meine
Füße und zog die
Schuhe wieder an.
Sie beobachtete mich jetzt.
Dann trafen sich unsere Blicke.
Sie lächelte wieder und
sagte dann:
Sie haben wirklich
schöne Füße.
So schlank und auch so zart
die Fußsohlen. Sie sind
sicherlich nicht so gut beim
Barfußlaufen.
Jetzt musste ich lachen,
denn das war ja wirklich so.
Ich konnte nicht Barfußlaufen,
weil ich jedes Steinchen spürte.
Alles war dann sehr schmerzhaft.
Immer hatte ich Schuhe an,
auch am Strand.
Ja, Sie haben recht,
das ist sehr schwierig für
mich. Ich vermeide es eigentlich
immer.
Ich stand dann auf, bezahlte
und reichte ihr die Hand.
Sie holte meine Jacke und
gab sie mir.
Wollen Sie jetzt gleich
einen neuen Termin ausmachen?
Gerne! sagte ich.
Wieder lächelte sie
mich an und ging wieder zurück
zur Anmeldung, wo das Terminbuch
lag. Dann schaute sie mich
an. Sie wartete auf meinen
Wunschtermin.
Ich holte mein Smartphone
aus der Tasche und öffnete
den Kalender. Heute
in genau 6 Wochen, ginge das?
Bei mir, oder bei meiner
Chefin?
Jetzt strahlte auch ich sie
an. Ich konnte wieder zu ihr!
Welche Frage!
Gerne wieder bei Ihnen!
Meinen Füßen hat
Ihre Behandlung sehr gut gefallen!
Jetzt musste sie aber auch
lachen, und wir lachten nun
beide.
Also bei mir in 6 Wochen!
Ich gab ihr nochmals die
Hand und verließ das
Studio.
Draußen schien die
Sonne. Diese Frau hatte mich
zum Lachen gebracht. Meine
Füße schmerzten
nicht mehr. Alles war somit
gut. Ich war total zufrieden.
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